

In jedem Leben kommt die Zeit, in der man die Namen alter Klassenkameraden googelt, die Hochzeits- und Kinderfotos in diversen Timelines sich häufen und das erste Klassentreffen unausweichlich vor der Tür steht. Klar, haben es die Mädels organisiert, die schon immer für so etwas verantwortlich waren, die Klassensprecherinnen und Daheimgebliebenen - auf die war damals schon immer Verlass - und nun bitten sie zum großen ersten Lebenslaufabgleich.
Wo wollte ich damals hin und wer bin ich jetzt?
Da steht man plötzlich und versucht sein Leben von außen zu betrachten, zu sehen, was die alten Mitschüler zu sehen kriegen: Die verträumte Dauerstudentin aus der WG in Berlin-Friedrichshain ohne Führerschein und Familie oder den ewig jugendlichen Kameraassistenten mit zehn Filmprojekten gleichzeitig. Nichts mit internationaler Künstlerkarriere, Digital Leadership oder Finanzhai im Businessoutfit. Der überkritische Blick in den Spiegel offenbart die ersten Denk- und Lachfalten, aber das ist nicht zu ändern.
Zurück aus den eigenen Gedanken zum geheimen Stalking der alten Klasse.
Vorsichtig hangelt man sich über die paar gebliebenen Kontakte von Profil zu Profil. Die Fotos von Anja und Till zeigen ihre Studienzeit in Übersee und ihre Reisen um die Welt. Ihre Gesichter wecken Erinnerungen an Klassenfahrten nach Pommern und Biederitz, aber sie scheinen es verdammt viel weiter geschafft zu haben, als bis in die Hauptstadt, das alte Traumziel der halben Klasse.

Damals waren wir allerbeste Freunde.
Verträumte Hochzeitsfotos wechseln sich mit weichgezeichneten Babybildern ab und
der Kopf schwirrt nur so von Liebesbekundungen und Emojis aller Art. So emotional
aufgeschlossen kannte man den schüchternen Thorsten mit Brille und Zahnspange gar
nicht. Und um ehrlich zu sein, ist die kleine Lena von der damaligen Freundin
überhaupt nicht so süß, wie sie diese ganz offenbar findet. Der Gedanke, dass die
hoffentlich nicht alle ihre süßen Fratze mitbringen und man sich an dem Abend jeden
Fluch verkneifen muss, ist einem ja fast peinlich. Obwohl die Kinderschar auch
eine gute Ablenkung von den eigenen, vermeintlichen Unzulänglichkeiten darstellen würde.

Vielleicht sollte ich mich doch erst einmal ganz unverbindlich mit der einzigen
Freundin aus der damaligen Clique, die in der gleichen Stadt wohnt auf einen Kaffee
treffen und dem Unheil vorfühlen. Dann stehe ich beim Klassentreffen zumindest nicht
vollkommen überraschend alleine da oder werde von allen gleichzeitig ausgefragt,
sondern habe schon eine Verbündete.
Früher haben wir immerhin ganze Nachmittage mit Kaffeetratsch, Kuchen und Liebesschnulzen
zugebracht. Wir konnten jeden Song von Dirty Dancing auswendig und schmachteten John
Travolta in Grease an. Das sind immer noch großartige Songs! Gleich mal ab in die
Playlist damit und schon fällt die Nachricht an die alte Freundin viel leichter.
Was ich ihr geschrieben habe und wie die Antwort ausfiel, lesen Sie in der nächsten Kolumne.